Veranstaltung: | 39. ordentliche Landesdelegiertenkonferenz |
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Tagesordnungspunkt: | 1 Grußwort und Formalia |
Antragsteller*in: | Landesvorstand (dort beschlossen am: 09.11.2017) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 09.11.2017, 21:48 |
D1: Statt Neuauflage der Kreisgebietsreform: Brandenburgs Kommunen bürgerfreundlicher, moderner und demokratischer machen
Antragstext
Das selbsterklärte wichtigste Projekt der rot-roten Landesregierung in dieser
Legislaturperiode, die Funktional- und Kreisgebietsreform, ist gründlich
gescheitert. Die Gesetzentwürfe haben am Ende zu viel Widerstand hervorgerufen,
es gab zu große handwerkliche Fehler, und wichtige Fragen konnten nicht
beantwortet werden. Am „Aus“ der Reform, das von Ministerpräsident Dietmar
Woidke am 1.11.2017 verkündet wurde, führte zuletzt kein Weg mehr vorbei. Es
zeigt sich einmal mehr, dass solche tiefgreifenden Reformen nicht von oben nach
unten durchgesetzt werden können, sondern im Dialog gemeinsam mit den
Beteiligten entwickelt werden müssen.
Die Probleme, die zu den Empfehlungen der Enquetekommission zur Durchführung
einer Verwaltungsstrukturreform geführt haben, bleiben bestehen. Dennoch ergibt
ein Neuanlauf zur Kreisneugliederung von der Landesebene auf Jahre keinen Sinn.
Es gilt zunächst die Vorschläge der kommunalen Familie, die die Gesetzesentwürfe
der Landesregierung zum Schluss unisono abgelehnt hat, abzuwarten. Freiwillige
Kooperationen und freiwillige Fusionen sind davon natürlich unbenommen und
sollten unterstützt werden. Vor einer Neubefassung müssen auf jeden Fall die
aktualisierten Bevölkerungsprognosen abgewartet werden.
Mit dem Stopp der Kreisneugliederung sind für uns allerdings nicht alle von uns
erhobenen Forderungen nichtig. Folgende Punkte stehen für uns weiter auf der
Tagesordnung:
- Mehr Bürgerfreundlichkeit und Effizienz der Verwaltungen durch
Bürokratieabbau und Digitalisierung, digitale Antragstellung ermöglichen,
mobilen Bürgerservice stärken, mehr Tempo bei E-Government und Glasfaser
in jedes Dorf
- Reform des kommunalen Finanzausgleichs, Analyse der Verschuldungssituation
und nachfolgend Entschuldungsprogramm für hochverschuldete Kommunen
insbesondere der kreisfreien Städte, Sonderausgleich für Landkreise ohne
Teilhabe am berlinnahen Raum, Ausgleichsprogramm für Soziallasten,
Bereitstellung zusätzlicher Mittel für kommunale Investitionen zur
Kompensation der wegfallenden Solidarpaktmittel; bessere Haushaltsaufsicht
durch das Land u.a. durch Einführung eines Prüfrechts für den
Landesrechnungshof und Etablierung eines Frühwarnsystems zur Eindämmung
der Verschuldung u.a. durch Offenlegung finanzieller Kennzahlen der
kommunalen Haushalte nach dem Vorbild anderer Bundesländer
- Stärkere Landesförderung für landesbedeutsame Kultureinrichtungen wie
Theater, Orchester und Museen, wie ursprünglich vorgesehen
- Demokratisierung und Stärkung von Beteiligungsmöglichkeiten auf der
kommunalen Ebene, Einführung der „Brandenburgischen Amtsgemeinde“,
Erleichterung von Bürgerbegehren, Verknüpfung der Direktwahl und Amtsdauer
von Landrät*innen und Bürgermeister*innen mit den Kommunalwahlen, Stärkung
der Kinder- und Jugendbeteiligung in den Kommunen
- Stärkung der kommunalen Ebene durch Aufgabenübertragungen der Kreise an
die Kommunen; die Gemeindeverwaltung als Zugangstor zur Kreisverwaltung
etablieren; Stärkung von Ortsbeiräten und Einführung von Ortsteilbudgets
- Angemessene Aufwandsentschädigung und Förderung des ehrenamtlichen
Engagements auf kommunaler Ebene u.a. durch Ehrenamtstickets
- Mehr Landesförderung für Bus, Bahn und Tram, für moderne Fahrzeuge,
Elektrifizierung und Barrierefreiheit
Begründung
Als der Brandenburger Landtag im Jahr 2011 einstimmig den Beschluss fasste, die Enquete-Kommission 5/2 „Kommunal- und Landesverwaltung - bürgernah, effektiv und zukunftsfest - Brandenburg 2020" einzusetzen, waren sich alle Fraktionen über einen grundsätzlichen Reformbedarf der Brandenburger Verwaltungsstrukturen einig. Die Umsetzung der Ergebnisse der Enquete-Kommission verlief jedoch von Anfang an holprig, handwerklich schlecht und kommunikativ desaströs. SPD-Innenminister Karl-Heinz Schröter gelang es nicht einmal, die Leute in den eigenen Reihen von der Notwendigkeit der Reform zu überzeugen, geschweige denn, die Menschen im Land auf dem Weg mitzunehmen. Ministerpräsident Dietmar Woidke verband zuletzt sogar seine eigene Person mit dem Gelingen des Projekts, bis er kurz vor Toresschluss in einem letzten Akt der Verzweiflung die Reform stoppte.
Bündnis 90/Die Grünen haben den Reformprozess von Anfang an kritisch-konstruktiv begleitet. Das aktuelle Scheitern ändert nichts daran, dass ein grundsätzlicher Reformbedarf weiter existiert. Die Ziele einer Entbürokratisierung und Modernisierung der Verwaltung, die Teilentschuldung insbesondere der hoch verschuldeten kreisfreien Städte und Stärkung der demokratischen Teilhabe in den Kommunen bestehen weiter.
Von den kommunalen Spitzenverbänden, dem Städte- und Gemeindebund sowie dem Landkreistag erwarten wir nun konstruktive Vorschläge für die Zukunft, die im Interesse der Kommunen und ihrer Bürger*innen und nicht nur im Interesse der Hauptverwaltungsbeamten liegen sollten.